Kräftige Heimatmusik

von Martin Frutiger für 'Brückenbauer Nr. 51' 1. September 1993

 

Ein Porträt von Cyrill Schläpfer, der einige aussergewöhnliche Volksmusikproduktionen geschaffen hat und dessen Film ”Ur-Musig” am Filmfestival Locarno Furore machte

 

Wir sitzen in Locarno, wo sein Film am Festival dreimal gezeigt werden musste und grosse Beachtung auch bei der Kritik fand. Vier Jahre hat Schläpfer an ”Ur-Musig” gearbeitet, in den hintersten Tälern und abgelegenen Alpen nach urtümlicher Musik gesucht, mit kleinstem Filmteam (unter anderem dem Kameramann Pio Corradi) tief beeindruckende Aufnahmen gemacht.

Über ein Jahr haben sie im Labor am Film geschnitten, noch bis zur letzten Stunde an der Farblichtung herumgedoktert. Schläpfer möchte schon längst ab in die Berge, aber immer wieder ist ein Termin, der ihn doch noch in Locarno hält. Und auch in Zürich, wo in einem Dachstock seine Firma CSR-Records untergebracht ist, wartet viel Arbeit.

 

Bannender Tonreigen

”Ur-Musig” ist ein fast zweistündiger Bilder- und Tonreigen, der mächtig in den Bann zieht, faszinierende Landschafts- und Bergstimmungen wechseln mit Nahaufnahmen von Menschen, Tieren und Bauernhäuser. Schläpfers Hauptanliegen: ”Die Kraft urtümlicher Volksmusik soll spürbar gemacht werden, wie stark sie von der Landschaft und Natur beeinflusst ist.”

Der Film verzichtet auf jeglichen Kommentar. Keinen einzigen Untertitel gibt es, dafür zwei Stunden Musik pur, neben ”fägiger” Örgelimusik in Beizen und Stuben, auch Büchelgsätzli, Naturjüüzli, Betrufe und Viehlöckler von Sennen im Freien. Immer wieder schwenkt die Kamera auf klingende Berghänge, ertönt das Geläute der Kuhglocken.

Auch wenn er mit 15 Jahren gern Rock, Reggae und Ska hörte, Schlagzeuger der X-Legs war, dann drei Jahre am Berklee College of Music Jazz-Schlagzeug, Musikproduktion und Aufnahmetechnik studierte, fühlt sich Cyrill Schläpfer seit seiner Kindheit stets verbunden mit der Volksmusik.

Aufgewachsen in Luzern, faszinierte ihn als kleiner Bub Marschmusik. Er lernte traditionell Trommeln und war, bis er 20 Jahre alt wurde, Tambour. Während seine Mitmusiker in der Schweiz nur die Nase rümpften, waren die Lehrer in Boston fasziniert von den raffinierten Tagwach-Streichen, ermunterten ihn, diese ”Swiss rudiments” in sein Schlagzeugspiel einfliessen zu lassen.

Zurück in der Schweiz versuchte er, eine Band nach der anderen zu gründen, aber einmal lief der Sänger davon, dann wieder der Bassist. Auch seine dreijährige Tätigkeit als Produzent bei einer grossen Plattengesellschaft machte ihn wenig glücklich, und er sagt heute: ” Wenn man die Musik gern hat, arbeitet man besser nicht in der Industrie!” Viel lieber wandert Schläpfer in den Bergen. Schon als Bug hatte ihn sein Vater zum Bergsteigen mitgenommen. ”Das Sportliche daran war mir weniger wichtig”, erinnert er sich. ”Schon damals habe ich die Landschaften und die Berge des Appenzells und der Innerschweiz als Urheimat erlebt.

”Es braucht Zeit, vielleicht einen, zwei Tage, oder gar einen Monat, bis man eine Verbundenheit mit der Landschaft spürt”, räumt er ein. ”Das Wahre ist dann, wenn man auf der Alp oder im Gaden jemanden für sich juuzen hört!” Das stellt Schläpfer oft alle Härchen im Nacken auf: ”Läck! Het das e Chraft.”

 

Freude auf dem Gesicht

Schläpfer bekam auch Freude an den Leuten, ihrer Tätigkeit, Mentalität und Sturheit. ”Sie gelten als konservativ und beschränkt, weil sie in ihren Tälern hocken, aber in ihren Gedanken sind sie sehr modern, können noch nein sagen zu einem Programm mit 25 Sendern. Deshalb haben sie auch noch diese Freude auf dem Gesicht, wenn einer in der Stube die Handorgel hervorzieht, sind so fasziniert vom Klang.”

Seit 1989 geht Schläpfer eigene Wege. Er stiess auf die Schwyzerörgelimusig des knorrigen, 82-jährigen Rees Gwerder, die ihn richtiggehend anrührte, nahm gar Stunden beim grossen Meister. In seinem Heimetli auf dem Gängigerberg kam Schläpfer die Idee, die Schwyzerörgelilegende in seiner Stube aufzunehmen, wo dieser besonders locker aufspielen konnte.

Ein erster Vorgeschmack zum Film war Schläpfers zweiter Streich. An zwei Silvestern in Urnäsch nahm er drei Chlausenschuppel auf, bei eisiger Kälte und mit aufgesetzten Masken. Kalter Wind fegt über den Schnee. Der Hund bellt! Der Hahn kräht! Die faszinierenden Live-Aufnahmen bringen das Rollen- und Schellengeläut, die feierlichen Zäuerli, mit Vorzauerer und einsetzender Gruppe, direkt in die Stube. Man wähnt sich am Original-Schauplatz.

Schon seit drei Jahren arbeitet Schläpfer mit Christine Lauterburg an einer CD. Sie hat ihm einmal ins Hackbrett gesungen, und das hat ihn fast umgeworfen. "Eine Klangquelle” schwärmt er von der Berner Jodlerin. Mit ihr hat er zum Teil auf Alpen und an echowerfenden Felswänden aufgenommen. "Die CD muss ein Meilenstein werden” setzt er sich zum Ziel. "Aber das ist wahnsinnig schwer, braucht viel Arbeit” fügt er hinzu.

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