Rees Gwerders Spiel-Art

An Rees Gwerder (1911-1998) erinnert man sich wie an eine Legende aus alter Zeit.

Wer dem Bergbauer und Schwyzerörgeler aus dem Muotatal persönlich begegnet war, kannte seine rauhbauzige Art. Er gab sich herb, ja, derb.

Wer den Musikanten aber gut kannte wie jene Wöchnerin, der Rees zur Geburt ihres ersten Kindes ein Tänzli durchs Telefon spielte, wusste um den weichen Kern in der harten Schale.

Rees Gwerder, der sich vorerst zusammen mit seinem Vater ein Schwyzerörgeli teilen musste und der nach dem Besuch der Primarschule während zwanzig Jahren als Knecht im Heimet seiner Eltern diente, um schliesslich oberhalb von Arth selber Bergbauer zu werden, war erst in den 1970er Jahren neben dem Bauernberuf immer mehr auch Musiker.

Er war ein Original aus der Innerschweiz. Die krumme Brissago zwischen den Lippen war sein Markenzeichen. Aber die Bauerntracht mit dem Hemd aus grobem Barchent war für ihn einfach ein Arbeitsgewand und kein Folklorekostüm. Vielleicht wäre Rees Gwerder gar die Kleidung der Virtuosen, der Frack, gestanden, denn dieser Musikant war ein grosser Musiker.

Als Kleinkind traf Rees mit Musikanten aus dem 19. Jahrhundert zusammen. Im Greisenalter noch erinnerte er sich an Stümpeli jener Stegreifler und spielte diese zweiteiligen Volkstänze, ohne sich derer Einfachheit zu schämen. Weil dieser Bauernmusiker während achtzig Jahren sich selber treu, von der Kommerzfolklore unberührt und im Glauben ans gute Alte unerschütterlich blieb, sind die zweihundert traditionellen Stücke, die Gwerder überlieferte, lebendig gebliebene Musikgeschichte. Im Laufe der Jahre erweiterte der Musikant das überlieferte Repertoire um rund hundert „Rees-Tänze“, aus der Tradition übernommene, aber mit originellen, ja, virtuosen Verzierungen ausgeschmückte, improvisierte oder auswendig gespielte Handharmonikastücke.

Während die zu Gwerders Lebzeiten interpretierte volkstümliche Unterhaltungsmusik immer schneller heruntergespielte Konzertmusik wurde, blieb seine Musik Tanzmusik im eben rechten Tempo. Und manch berühmter Virtuose hätte beim Volksmusiker aus dem Kanton Schwyz das Geheimnis einer vollkommenen Phrasierung erkennen und nachahmen können. Diese goldrichtige Gliederung eines musikalischen Gedankens hatte Rees, der nie Musikunterricht geniessen durfte, nicht erlernt, er hat sie vielmehr den alten Musikanten und den Gesetzen der Natur abgelauscht. Tatsächlich dürfte das Prinzip seines Musikunterrichts, Zuhören und Na8chmachen, auch die Erklärung für sein eigenes Musizieren gewesen sein.

In diesem übernommenen und persönlich ausgestalteten Musizierstil fällt der aus zwei grossen Terzen zusammengesetzte Dreiklang auf. Das Spiel auf dem Büchel (trompetenähnliches Alphorn), bei dem der 11. Naturton wie bei jedem Naturtoninstrument als Ton zwischen F und Fis erklingt, wird im Muotataler Jüüzli (ein- und mehrstimmiger Naturjodel auf blosse Silben) imitiert. Das sogenannte Alphorn-Fa lässt sich auf dem Schwyzerörgeli aber nicht greifen, so dass die Handharmonikaspieler jenes Tals aufs Fis ausweichen. Dieses Merkmal der Muotataler Stegreifmusik wirkt archaisch oder auch modern, denn es verstösst gegen die Gesetze der Harmonielehre.

Rees Gwerder gilt in der schweizerischen Volksmusik als markante Musikerpersönlichkeit, in der Musiktradition der Innerschweiz aber als Glücksfall. Durch seine hohe Begabung und seine charakterliche Veranlagung tradierte Gwerder Volksmusik des 19. Jahrhunderts bis in unsere Zeit.

Man klagte nach seinem Tod zu unrecht, dieser urchige Musikant habe ein altes, unwiderbringliches Repertoire ins Grab mitgenommen. Er hat seine Tänze vielen Schülern vorgemacht, die sie sich durch Nachspielen zu eigen gemacht haben.

Von 1962 an spielte Rees Gwerder zudem zehn Langspielplatten ein. Zwischen 1989 und 1996 dokumentierte Cyrill Schläpfer in Ton- und Filmaufnahmen Rees Gwerders Tänze und seine Spielart. In dankenswerter Weise ist es diesem Filmschaffenden, Tontechniker und Schwyzerörgeler gelungen, Rees Gwerders musikalische und sprachliche Ausdrucksweise rechtzeitig zu erkennen und festzuhalten.

Prof. Dr. Brigitte Bachmann-Geiser

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